Text und Fotos: Markus Ziebell
Trotz einer Wassertemperatur von nur sechs Grad Celsius
ist man nach dem paddeln ausreichend aufgeheitzt um zwischen den Eisbrocken
ein kurzes Bad zu nehmen. Allerdings führen einen Fusskrämpfe schnell
an das Ufer zurück.
Der Isfjord - Gegen 22:30 setzt die >Dash 7< der Skandinavien Airlines zum Landeanflug auf Ilulissat an. Anfang Juli haben wir hier ca. 300 Kilometer nördlich des Polarkreises eine herrliche Mitternachtssonne. So genieße ich den ersten Blick auf den unter mir auftauchenden Isfjord. Der Kangerdluaqgletscher gehört zu den schnellsten Gletschern der nördlichen Hemisphäre und schiebt sich durchschnittlich 30 Meter pro Tag nach vorne. Dadurch bilden sich Unmengen von grösseren und kleineren Eisbergen, die den gesamten Fjord füllen und nach und nach in die Diskobucht hinaus treiben. Von dort wandern sie langsam mit der Meeresströmung Richtung Süden. Manche dieser Eisberge treiben bis zu 20 Jahre &üuml;ber den Ozean und erreichen dabei so südlich liegende Regionen wie New York. Auch der 1912 von der Titanic gerammte Eisberg kommt aller Wahrscheinlichkeit nach aus dieser Bucht und hat mal als harmloser Schnee auf dem Inlandeis angefangen. Noch am Flughafen werde ich von Silver, einem Italiener, der sich hier vor vielen Jahren niedergelassen und die Touristenagentur >Tourist Nature< betreibt, abgeholt und zum Campingplatz gebracht, der nur wenige Meter vom Isfjord entfernt etwas südlich von Ilulissat liegt. Noch bis nach Mitternacht genieße ich diesen unbeschreiblichen Blick auf die mit Eisbergen &üuml;bersäte Diskobucht.
Im
Isfjord stauen sich durch eine vorgelagerte Untiefe die Eisberge, bis sie ausreichend
abgetaut sind um ihre lange Reise zu beginnen.
Den nächsten Tag verbringe ich damit, zusammen mit Silver meine genaue
Reiseroute festzulegen, Verpflegung einzukaufen und die Stadt ein wenig zu erkunden.
Mit gut 4000 Einwohnern ist Ilulissat die drittgrößte Stadt des Landes
und lebt vom Fischfang und mehr als die meisten anderen Orte vom Tourismus.
Doch obwohl hier die moderne Technik bereits überall Einzug gehalten hat,
ist doch das traditionelle Leben der Inuit noch überall präsent. Am
auffälligsten sind die auf jeder freien Fläche angeketteten Schlittenhunde.
Da es dazwischen immer wieder einige wenige frei herumstreunende gibt, muss
ich aufpassen mit meiner Verpflegung, die ich in wasserdichten Säcken direkt
neben meinem Zelt lagere. Für den nächsten Tag habe ich mit Silver
vereinbart, dass mich jemand mit dem Motorboot ins etwa 60 Kilometer nördlich
gelegene Ata bringt. Dort befindet sich ein kleines Camp und einige Kajaks,
von denen er mir eines überlassen will.
Gestrandet in der Mudderbugten - Am nächsten morgen herrscht dichter Nebel.
Trotzdem packe ich früh meine Sachen zusammen und treffe mich mit Silver
um acht Uhr zum Frühstücken in einem kleinen Cafe. Bei diesem Wetter
ist natürlich nicht an eine Überfahrt zu denken. So haben wir etwas
Zeit und er erzählt mir einiges über die Probleme hier mit dem Nebel.
Zwar gehört die Diskobucht zu den sonnigsten und wärmsten Regionen
Grönlands, aber wenn feuchte Luftmassen vom Meer heranziehen, bildet sich
hier durch das viele Eis sehr schnell Nebel. Normalerweise hält sich dieser
nur kurze Zeit, aber vor einigen Jahren hat sein Geschäft stark darunter
gelitten, dass im Juli, der eigentlichen Hochsaison fast drei Wochen lang durchgängig
Nebel war.
Glücklicherweise
lichtet sich der Nebel bereits nach zwei Stunden, so dass ich zusammen mit Jens,
einem schlanken und groß gewachsenen Inuit, das kleine Boot belade mit
dem wir dann gegen Mittag in See stechen. Inzwischen ist die Sicht wieder völlig
klar und ich mache es mir zwischen meinen Packsäcken liegend gemütlich.
Mit großer Geschicklichkeit manövriert er im Slalom mit hoher Geschwindigkeit
zwischen den Eisbergen entlang. Mehrmals tauchen vor uns Robben im Wasser auf
verschwinden aber sofort wieder in der Tiefe. Nach einer halben Stunde erreichen
wir nahezu offenes Wasser. Bei der hohen Geschwindigkeit schlägt das Boot
auf jede Welle hart auf und jedesmal hebe ich und das Gepäck für kurze
Zeit ab um sofort wieder hart zurückzufallen. Etwas krampfhaft versuche
ich mich festzuhalten. Jens dagegen scheint dieses stete Springen eher zu genießen.
Nach kurzer Zeit verlangsamt Jens das Tempo wieder, allerdings nicht, weil ich
mich dann wohler fühle, sondern weil der Motor unruhig läuft und dann
ausgeht. Nach einigen Versuchen springt er wieder an. Doch schon nach wenigen
hundert Metern streikt der Motor erneut. Wir schrauben die Zündkerzen zum
Trocknen heraus, lassen den Motor durchdrehen, bauen alles wieder zusammen und
starten erneut. Ohne Erfolg. Dieses Spiel wiederholen wir mehrfach. Irgendwann
gelingt es uns dann den Motor wieder zum Laufen zu bringen. Allerdings läuft
er unrund und nimmt auch das Gas nicht richtig an. Im Schrittempo fahren wir
langsam weiter. Noch zweimal geht uns der Motor aus, noch zweimal schrauben
wir alles auseinander und es gelingt uns den Motor wieder in Gang zu bekommen.
Wir fahren inzwischen in der Nähe des flachen Ufers entlang als uns der
Motor erneut ausgeht. Wir müssen feststellen, dass sich der Motor nicht
mehr drehen lässt. Vermutlich Kolbenfresser. Wir werfen den kleinen Anker
aus und ziehen uns damit Stück für Stück die 200 Meter in Richtung
Ufer. Über Funk versucht Jens die Station in Ata zu erreichen. Jedoch ohne
Erfolg.
Die
alte verlassene Siedlung Ata dient heute als Basis für zahlreiche Outdooraktivitäten
in der Region und für mich als Starpunkt meiner
Reise.
Jens deutet auf einen nur wenige Kilometer entfernten Bergrücken auf dem
eine Antenne sichtbar ist. Dort müßte sich die Station befinden.
Also machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Nach einigen Minuten sehen wir
in einiger Entfernung einen Fischer mit seinem Motorboot vorbeifahren. Wir schwenken
mit unseren Jacken um auf uns aufmerksam zum machen und tatsächlich werden
wir gesehen und der junge Mann kommt zu uns. Im Gespräch bekomme ich mit,
dass wir uns vollständig verfahren haben. Die Station Ata liegt auf einer
anderen Insel ungefähr 40 Kilometer östlich von uns. Er erklärt
sich bereit unser Boot ein Stück bis zur Mudderbugt abzuschleppen wo es
etwas geschützter liegt. Anschließend bringt er uns noch bis zum
Südende des Arve Prinsens Ejland wo wir über Funk einen Treffpunkt
mit Silver ausgemacht haben, der sich mit einem größeren Boot in
der Nähe aufhielt. So erreichen wir nach 12 Stunden und einem ereignisreichen
Tag gegen Mitternacht das kleine Camp Ata den Ausgangspunkt für meine Kajakreise.
Eqip Sermia - Voller Vorfreude bin ich am Morgen schon
früh auf den Beinen und ordne am Strand meine Ausrüstung. Silver bietet
mir alternativ zu einem Hazle Explorer (Single) noch einen Zweier von Prijon
an, da er meint ich würde meine ganze Ausrüstung in dem schmalen Einer
wohl nicht unter bekommen. Doch ausser dem etwas sperrigen Schlafsack, der in
einem wasserdichten Sack auf dem Heck landet lässt sich doch alles in den
verschliessbaren Luken unterbringen. Etwas besorgt ist er, da bisher noch nie
jemand solange hier in der Gegend mit einem seiner Boote unterwegs gewesen ist.
Schon gar nicht allein. So verständigen wir uns darauf, das ich mich telefonisch
aus einer der Inuitsiedlungen zwischendurch melden soll. Als ich dann mein Cockpit
eingerichtet habe mit GPS, Kompass, Notfunksender und Seefunkgerät ist
er dann allerdings doch einigermassen überrascht über meine gute Ausrüstung
und insgesamt wohl etwas beruhigt.
Nachdem ich das inzwischen gut 100 kg schwere Boot ins Wasser gewuchtet habe
und in dem komfortablen Boot sitze kommt langsam dieses unbeschreibliche Gefühl
von Freiheit und freudiger Erwartung in mir hoch, das ich oft am Anfang einer
Reise habe. Das schlanke Boot liegt dank des hohen Gewichtes sehr stabil im
Wasser und so geniesse ich vom ersten Augenblick die Sonne, die sich im glatten
Wasser spiegelt.
Beim
Abbruch des Eises von der Gletscherkante, zerbricht der grösste Teil zu
kleinsten Schollen, durch die es sich zwar mühsam aber problemlos paddeln
lässt.
Für meine erste Tagesetappe habe ich mir gleich 30 Kilometer bis zum Eqip
Gletscher vorgenommen. Schon direkt nach dem Start begegne ich den ersten kleinen
Eisbergen, die mir in bizarren Formen entgegen treiben. Nach einigen Stunden
erreiche ich die ersten Eisfelder. Zunächst nur einzeln verteilte Bruchstücke
oder größere Schollen verdichten sie sich doch nach und nach so weit,
dass ich mit dem Boot einen Kanal frei schieben muss.
Immer wieder sehe ich offene Wasserflächen aber dazwischen auch immer wieder
Bereiche mit Trümmereis. Auf einer größeren Scholle lege ich
an um mir einen Überblick zu verschaffen. Der weiße Koloss sieht
zwar aus wie Schnee, seine Oberfläche stellt sich aber als so hart und
rutschig heraus, das ich mich beim Aussteigen nur auf allen Vieren fortbewegen
kann. Das Boot befestige ich an einer Eisschraube, die ich eigentlich für
den Notfall zur Zeltbefestigung mitführe. Doch echte Gelassenheit kommt
während dieser Pause nicht auf, denn selbst dieser Brocken von 20 Metern
Durchmesser schwankt bedenklich, so dass ich schon nach wenigen Minuten meine
Fahrt fortsetze. Schon vorher war mir aufgefallen, dass diese Eisberge und -Brocken
ständig in Gefahr sind auseinanderzubrechen oder sich zu drehen. Im Gegensatz
zu gefrorenem Meereis, das eine gleichmässige Dicke besitzt, bestehen diese
Brocken aus völlig unregelmäßig geformtem Eis, das nur zu etwa
einem Siebtel sichtbar ist. Sowohl über als auch unter Wasser taut das
Eis langsam ab und so verschiebt sich der Schwerpunkt mit der Zeit, bis der
Eisberg kippt. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist lässt sich leider aus
meiner Erfahrung überhaupt nicht voraussagen.
Gut
erkennbar ist, dass das Eis von einer Strömung, die unter dem Gletscher
hervorkommt abgetrieben wird.
Nach etwa sieben Stunden Paddelzeit erreiche ich den Sandstrand östlich der Abbruchkante des Gletschers. Ursprünglich wollte ich in die geschützte Lagune fahren. Da mir jetzt bei ablaufendem Wasser aber starke Strömung entgegen kommt, ziehe ich das Boot auf den mit Eisbrocken übersäten Strand. Mein Zelt baue ich oberhalb der Felsküste zwischen niedrigen Sträuchern auf. Auch das Boot muss ich von nun an bei jedem Anlanden erst ausladen und dann bis in flutsichere Höhen tragen. Am nächsten Tag erforsche ich die Bergkämme die sich direkt am Rand das Gletschers bis auf 600 Meter Höhe erheben. Von dort bietet sich ein atemberaubender Blick über den Gletscher, die Bucht und die sich in der Ferne abzeichnende Inselwelt.
Ständig
führt meine Fahrt vorbei an bizarren Eisbergen, deren Formen einem steten
Wandel unterliegen. Gut sichtbar sind die früheren Wasserlinien.
Oben zwischen den schroffen, schwarzen Felsen hat sich ein kleines Süsswasserbecken in der Sonne aufgeheizt. Gerne nutze ich diese Bad als Alternative zu dem sechs Grad Celsius kalten Wasser des Nordatlantik. Nach einer sechs stündigen Wanderung kehre ich zurück zum Camp und stelle fest, dass meine Anwesenheit nicht unbemerkt geblieben ist. Seit meiner gestrigen Ankunft muss sich diese Nachricht unter den hiesigen Bewohnern wie ein Lauffeuer verbreitet haben und so warten an meinem Zelt bereits zahlreiche Vertreter vom Stamm Nematocera. Diesen etwas kleinwüchsigen Bewohnern der Region ist Gastfreundlichkeit leider völlig fremd. So fallen diese blutrünstigen Quälgeister in Schwärmen über mich her. Um den Mücken wenigstens noch ein Weile zu entgehen, steige ich noch einmal ins Boot um zu testen, wie gut sich das Boot rollen lässt. Nach einigen Versuchen bin ich zufrieden, drehe noch eine Runde durchs Treibeis und kehre dann zurück zum Lager.
Qeqertaq - Von dort führt mich mein Weg Richtung
Westen. In Arsivik treffe ich auf Überreste einer alten Siedlung. Ein alter
Friedhof mit Holzkreuzen deutet auf eine Nutzung dieser Region in jüngerer
Vergangenheit hin. Da es hier auf den Inseln kaum Erde gibt, sind die Gräber
mit Steinen unterschiedlicher Grösse bedeckt. In einiger Entfernung entdecke
ich dann auch ein älteres Grab mit einigen menschlichen Knochen. Hier wurden
grössere Steinen zu einem Hügel aufgeschichtet in dessen Mitte sich
eine kleine Grabkammer befindet.
Riesige
Eisberge mit zum Teil über 30 Meter Höhe und mehr als 100 Meter Länge
gleiten lautlos den Fjord hinunter. Etwas winzig komme ich mir in meinem kleinen
Kajak vor und bin bemüht nicht zu nah an die Abbruchkanten zu kommen.
Auf meiner Weiterfahrt kreuze ich einige Tage später den Torssukatak Fjord, an dessen Ende sich ein sehr aktiver Gletscherarm befindet. Riesige Eisberge von mehr als hundert Meter Länge treiben hier langsam Richtung Westen. Ein eisiger Wind vom Inlandeis treibt mich an diesem Tag immer wieder in den Schutz dieser Giganten. Ich bin froh, dass ich meine Paddelstulpen dabei habe. Denn während bei Windstille auf den Felsen 30 Grad Celsius keine Seltenheit sind und einen dann nur die Mücken von einem ausgiebigen Sonnenbad abhalten, erinnert dieser Wind einen doch schnell daran, dass man sich hier in der Arktis befindet. Am folgenden Tag erreiche ich die Siedlung Qeqertaq, das an der Südspitze der gleichnamigen Insel liegt. Die ganze Bucht ist mit Treibeis angefüllt, durch das sich unaufhörlich die kleinen Motorboot der hiesigen Fischer ihre Weg bahnen. Ich selbst lande etwa einen Kilometer nördlich der Siedlung an, um nicht in der Nacht zu sehr von herumstreunenden Schlittenhunde gestört zu werden. Nach dem ich das Zelt aufgebaut habe, gehe ich in die kleine Ortschaft, die wie alle Städte hier aus bunten kleinen Holzhäusern im dänischen Stil besteht. Dass der kleine Supermarkt dieser 100 Seelengemeinde geschlossen hat stört mich weniger, da meine Vorräte noch sehr reichlich sind und ich in wenigen Tagen den etwas grösseren Ort Saqqaq ansteuern will. Die Bewohner sind sehr zurückhaltend und die allerwenigsten sprechen Englisch. Schließlich gelingt es mir aber doch mich bis zur Wäscherei durchzufragen, die über ein Telefon verfügt, sodass ich zur Beruhigung meines Bootsvermieters einen Anruf tätige. Da sich in diese Region nur sehr wenige Touristen verirren, ist bei den Bewohnern die wichtigste Einnahmequelle immer noch der Fischfang und die Jagd auf Robben. Wie in fast allen Orten gibt es auch hier am Hafen ein Gebäude der Royal Greenland A/S. Diese Gesellschaft ist der mit Abstand grösste Fischereikonzern Grönlands und kauft den größten Teil des Fangs für den internationalen Markt auf. Darüber hinaus stehen überall im Dorf Holzgerüste auf denen Fische in der Sonne trocknen, die aber vor allem als Futter für die zahllosen Schlittenhunde dienen.
Viel
Treibstoff lagert hier für die kleine Gemeinde. Denn im langen Winter ist
es sehr schwierig Treibstoff und andere Güter in diese entlegene Region
zu schaffen.
Als ich nach einigen Tagen den westlichsten Punkt meiner Reise, die Gemeinde
Saqqaq erreiche, ist mein Treibstoffvorrat so gut wie aufgebraucht. Da ich es
inzwischen leid bin jeden Tag eine halbe Stunde damit zu verbringen, kleine
trockene Zweige in der spärlichen Vegetation für mein Kochfeuer zu
sammeln, überlege ich wie ich meinen Vorrat an Treibstoff für den
Rest der Tour vergrössern kann. Leider habe ich meine zweite Treibstoffflasche
am Startpunkt zurückgelassen. Auch verfüge ich über keine leeren
Glasflaschen, die sich hierfür eignen würden. Als ich so grübelnd
von meinem ersten Besuch des kleinen Ortes zurückkehre, kommt es mir vor
wie eine göttliche Fügung, als ich nur etwa 30 Meter von meinem Zelt
entfernt eine 1,5 Liter Sigg-Flasche finde. Der Geruch verrät, dass diese
bereits vom letzten Besitzer zum Benzintransport benutzt wurde. Da sich ansonsten
eigentlich kein Müll in dieser Bucht befindet, und mir die rote Flasche
die offen auf dem Boden lag vorher nicht aufgefallen war, kommt mir der Gedanke,
dass irgendeine geheimnisvolle Macht über mich wacht. Zu unwahrscheinlich
erscheint mir dieser Zufall.
Im hiesigen Supermarkt fülle ich noch einmal meine Vorräte für
die letzten zehn Tage auf. Da mein Autan langsam zur Neige geht, versuche ich
es mit einem Mittel auf der Basis von ätherischen Ölen. Bei den ersten
Tests zeigt sich einmal mehr die Verbundenheit der Grönländer mit
der Natur. Denn auch wenn man dieses wirkneutrale Mittel aufträgt, bleibt
das natürliche Gleichgewicht für die Insekten ungestört. Sie
werden von diesem Mittel weder belästigt noch vom Stechen abgehalten. Andererseits
stelle ich aber fest, dass sich mein Körper jetzt nach zwei Wochen etwas
an die Plagegeister gewöhnt hat. Die Schwellungen fallen deutlich kleiner
aus und sind auch meistens bereits nach wenigen Stunden wieder verschwunden.
Sturm an der Südspitze - Meine weitere Route
führt mich bei herrlichem Sonnenschein zurück nach Osten, vorbei an
Qeqertaq und von dort Richtung Süden an der Küste des Arve Prinsens
Ejland entlang. Die steilen Felswände im Smallesund sind bei Ebbe reichlich
mit Miesmuschelbänken übersät und ich nutze die Gelegenheit meinen
Speiseplan aufzupeppen. Am Eingang zur Langebugt nutze ich die Gelegenheit zu
einem halbtägigen Ausflug auf den 367 Meter hohen Arna. Von diesem Berg
mit zwei fast gleich hohen Gipfeln genieße ich die Aussicht über
die südlich gelegenen Inseln bei Ritenbek. Diese alte Walfängersiedlung
wurde 1960 von den letzten Bewohnern verlassen. Zahlreiche Gebäude stehen
noch und bieten mit den großen Kesseln die zum Trankochen dienten, einen
Einblick in diese Zeit. Heute wird eines der Gebäude von Touristen genutzt,
die von hier aus Touren zum Angeln bzw. Walbeobachtung machen. Vergeblich suche
ich in den nächsten Tagen immer wieder die Wasseroberfläche nach dem
Atemdunst dieser Riesen ab. An der Westküste dieser Insel begegne ich nur
vereinzelt Eisbergen. Aber im Westen treiben sie mit dem Nordwind vor der Küste
der Diskoinsel entlang. Ein ungewöhnliches Schauspiel lässt sich die
nächsten Tage beobachten. Durch den feuchten Wind bildet sich im Bereich
der Eismassen Nebel, der aber kaum die Eisberge selbst überragt. Es ist
ein weißes flaches Band, dass sich vor der Küste der Diskoinsel entlang
zieht.
Da
die Windrichtung günstig ist, bleibt das Eis und damit auch der Nebel für
mehrere Tage am gegenüberliegenden Ufer.
Nach einigen Tagen erreiche die Südspitze der Insel. Noch immer herrscht
Nordwind und im Osten der Insel packt mich direkt nach der Spitze heftiger Gegenwind.
Ich versuche mich im Windschatten der Felsen zu halten, aber die Böen ziehen
hier direkt an den schräg abfallenden Felsen herunter. Immer wieder tauche
ich bis zur Brust in die Wellen ein. Das macht mir zwar anfangs viel Spaß, wird
aber auch schnell anstrengend. Nach einiger Zeit merke ich, dass eine der Wellen
mir meine wasserdichte Kamera vom Deck gespült hat. Ich drehe um und nach
einigen Minuten sehe ich sie in der roten Hülle zwischen den Wellen tanzen.
Ich kämpfe mich bis zur letzten Bucht vor. Dahinter verändert sich
die Küste zu steilen Ufern ohne Landemöglichkeit für die letzten
30 Kilometer. Bei diesem Wetter möchte ich weder die 30 Kilometer am Stück
bewältigen müssen, noch über den acht Kilometer breiten Atasund
queren. Da ich noch genügend Zeit habe beschließe ich, einfach abzuwarten.
Ich baue mein Zelt in einer kleinen Mulde auf und bin froh, dass ich ausreichend
Abspannleinen dabei habe. Die ganze Nacht knattert das Zelt in den heftigen
Böen. Als ich am nächsten Morgen aufstehe, stelle ich fest, dass sich
zwei der Leinen gelöst haben. Mein erster Verdacht, dass sich die Heringe
im Wind verabschiedet haben stellt sich als falsch heraus. Die Leinen sind gleich
an mehreren Stellen durchgebissen. Vermutlich habe ich mein Zelt auf dem Wanderweg
eines Fuchses aufgestellt. Zu meinem Glück durchschaute der Fuchs die Physik
des Windes nicht ganz. Er zernagte lediglich Abspannleinen auf der dem Wind
abgewandten Seite. So blieb mir ein mitternächtlicher Zeltabbau noch einmal
erspart.
Nach zwei Tagen legt sich der Wind und ich kann bei ruhigem Sonnenwetter meine
letzten Kilometer hinter mich bringen. In der Mitte des Atasund treffe ich auf
Silver, der mit einigen Touristen zum Eqip Sermia unterwegs ist und wir verabreden
uns für den nächsten Abend in Ata. Nach 23 Tagen im Kajak komme ich
am nächsten Tag gegen Mittag in Ata an. Völlig unbemerkt von anderen
Leuten entlade ich das Boot, wasche einige Sachen im nahen Bach und packe langsam
zusammen.
Eine
große Höhle haben hier Sonne und Wasser in den Eisberg gefressen.
Ich vermeide es allerdings in den Tunnel hinein zu fahren, denn eine Drehung
oder ein Abbruch des Eises hätten dann wahrlich fatale Folgen.
Abends gegen 22:00 Uhr kommt Silver dann endlich. Jens bringt mich kurz mit
dem Schlauchboot zum Schiff herüber und wir brechen sofort Richtung Ilulissat
auf. Der Wind hatte bereits am Mittag auf Süd gedreht. An der Südspitze
der Insel treffen wir auf dichten Nebel. Da dies ein deutlicher Hinweis auf
Eis in der Region ist, verlangsamen wir unsere Fahrt. Nach wenigen Metern treffen
wir auf die ersten Schollen. Durch den Nebel ist diese Nacht ungewöhnlich
dunkel. So tasten wir uns im Schrittempo durch die Eisschollen hindurch. Nach
15 Minuten gibt Silver das Zeichen zum Rückzug. Bei dieser Sicht würden
wir ewig brauchen und ständig riskieren das Boot zu beschädigen. Wir
kehren zurück nach Ata.
Am nächsten Morgen starten wir früh um sechs Uhr bei herrlichstem
Sonnenschein. Der Nebel hat sich bereits aufgelöst, als wir das Eis erreichen.
Auch jetzt kommen wir nur langsam voran. Immer wieder schiebt Silver mit dem
Bug des Bootes die Schollen auseinander um sich einen Weg zu bahnen. Es ist
wohl sehr selten, dass der Wind das Eis vom Isfjord Richtung Norden treibt.
Silver meint, dass er in den letzten 13 Jahren noch nie so viel Eis in dieser
Region gesehen hat.
Den folgenden Tag verbringe ich noch in der Umgebung von Ilulissat auf ausgiebigen
Wanderungen, bevor ich dann nach vier Wochen mit schwerem Herzen meinen Rückflug
nach Deutschland antreten muss.