Reiseberichte: Uummannaqfjord 2003

Mit dem Faltboot zwischen Eisbergen und Walen


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Text und Fotos: Markus Ziebell

Hier stauen sich die gewaltigen Eisberge bis sie über eine nur 200 Meter flache Schwelle im Fjord gedrückt werden. Von dort treiben sie dann weiter Richtung Diskobucht und Nordatlantik

 

Als wir gegen Mittag in Kangerlussuaq ankommen, herrscht herrlicher Sonnenschein. Trotzdem verzögert sich unser Weiterflug nach Ilullisat um fast zwei Stunden wegen Nebel. Bereits zweimal hat die >Dash 7< von Greenland Air heute früh den Landeanflug auf Illulisat im dichten Nebel abgebrochen. Entsprechend voll ist die Maschine, als wir endlich starten. Wir haben Glück und in etwa 50 Metern Höhe lässt der Nebel einen Blick auf die Landebahn und damit unsere Landung zu. Ilulissat an der Westküste Grönlands ist für seinen fast 12 Kilometer langen Eisfjord bekannt. Doch durch die großen Eismassen die hier direkt vor der Küste treiben, bildet ich häufig starker Nebel der manchmal für Tage oder Wochen die Diskobucht einhüllt.

 

Wie überall in Grönland dominiert auch in Uummannaq der dänische Baustil mit seinen bunten Holzhäusern, die hier wegen Mangel an Erde direkt mittels Betonsockel auf die Felsen gestellt sind.

 

Doch wir haben Glück und nutzen die beiden nächsten sonnigen Tage um unsere Weiterreise mit dem Schiff und die anschließende Kajaktour vorzubereiten. Das Linienschiff fährt regelmäßig die Westküste bis Upernavik hinauf. In den Sommermonaten ist dies die Alternative zum in Grönland sehr gebräuchlichen Hubschrauberflug. Nach der Abfahrt des Schiffe sitzen wir noch lange in der Abendsonne und lassen die Diskoinsel sowie die unzähligen Eisberge an uns vorübergleiten. Morgens wechselt dann das Wetter und wir nähern uns unserem endgültigen Reiseziel im Nieselregen bei sechs Grad Celsius. Mit an Bord befindet sich auch die Fußballmannschaft aus Uummannaq, die bei den grönländischen Meisterschaften den zweiten Platz errungen hat und beim Einlauf im Hafen von der Bevölkerung ausgiebig gefeiert wird.

 

Der Großteil der Berghänge ist völlig vegetationslos. Nur in den wenigen geschützten Buchten kann sich spärlicher Pflanzenwuchs halten. Aber auch hier sind die Gräser und Sträucher selten höher als Knöchelhöhe.

 

Der offizielle Zeltplatz von Uummannaq befindet sich am Rande der Stadt in der Nähe eines kleinen Sees. Es gibt leider keine sanitären Anlagen und für mehr als ein Zweipersonenzelt fehlt auch der Platz zwischen den nackten Felsen. Insgesamt gibt es auf der Insel nur sehr wenig Flächen zwischen den Felsen wo sich etwas Erde sammeln konnte und somit spärliche Gräser wachsen. Alle Häuser sind direkt mit einem Betonfundament auf die Felsen gestellt.

 

Am nächsten Tag ist es trockener und im Laufe des Tages lichtet sich auch langsam der Nebel. Schon früh sind wir beim Hafenmeister und sind gespannt ob unser Faltboot die lange Schiffsreise von Aalborg zeitgerecht und unbeschadet überstanden hat. Problemlos und unbürokratisch kommen wir an unser Gefährt und können beim Hafenmeister für die Dauer der Paddeltour unsere Holzkiste für den Rücktransport unterstellen. Während ich mit dem Aufbau des Bootes beginne, plündert Steffi den hiesigen Supermarkt, der bestens sortiert ist. um unseren Reiseproviant zusammenzustellen. Auf einmal tauchen aus dem Nebel drei längliche Gefährte auf. Kajaks, doch es sind keine Inuit-Kayaks mit Leinenbespannung sondern Kunststoffboote und ein Feathercraft-Faltboot. Nach kurzer Konversation auf Englisch stellt sich heraus, dass Doris und Matthias aus Schleswig kommen und ihr dritter Begleiter aus Herne. Dies gibt uns die Gelegenheit, aktuellste Infos für unsere Reiseplanung abzugreifen. Das Wetter scheint dies Jahr etwas unbeständiger zu sein als sonst. Mehrere Tage haben die drei im Sturm festgesessen. Als der Nebel sich im Laufe des Nachmittag fast vollständig aufgelöst hat, verabschieden wir uns, steigen in unseren schwerbeladenen Klepper und paddeln nach Süden zur Nussuaqhalbinsel. Dort finden wir direkt neben einem kleinen Bach einen der wenigen Zeltplätze im hohem Gras.

 

Finnwale gehören mit einer Körperlänge von bis zu 25 Meter nach den Blauwalen zu den größten Walen. Da sie zu den Bartenwalen zählen und sich nur von Plankton ernähren, gehören wir als Paddler nicht zum Beuteschema. Trotzdem könnte eine Unachtsamkeit des Wales unser kleines Boot in große Bedrängnis bringen.

 

Die Schutzhütten der Fischer sind mit Stahlseilen auf den Felsen verzurrt und zeigen, dass die Ruhe hier trügerisch sein kann. Doch noch bleibt uns das Glück treu und so erleben wir am kommenden Tag bereits eines der beeindruckendsten Schauspiele, die die Natur zu bieten hat. Schon aus großer Entfernung hören wir die immerwiederkehrenden Blasgeräusche der großen Meeressäuger.



Nur selten ist dieser Bereich soweit eisfrei dass man mit dem Boot bis zu den beiden Gletschern fahren kann.

 

Als wir näherkommen, erkennen wir zwei Finnwale, die vor einer Bucht auf und ab schwimmen und kleine Schalentiere, die hier massenhaft im Wasser schwimmen mit ihren Barten herausfiltern. Durch unsere Anwesenheit lassen sie sich nicht stören und so schwimmen die beiden Tiere nur wenige Meter an uns vorbei und lassen uns den fischigen Geruch ihrer Atemluft spüren.

Auf der Weiterfahrt Richtung Osten mehren sich die Eisfelder. An zahlreichen bis zu 30 bis 40 Meter hohen weißen Riesen ziehen wir vorbei. Da ständig die Gefahr besteht, dass sich durch Abschmelzungen der Schwerpunkt verändert und sich die Riesen eine neue stabilere Lage suchen oder die Giganten sogar auseinanderbrechen, halten wir einen entsprechenden Sicherheitsabstand. Immer wieder hört man in der Ferne das Bersten von Eis. Doch zu unserem Glück immer in ausreichender Entfernung. Am östlichen Endes des Uummannnaq-Fjords befinden sich zwei Gletscherzungen: Store- und Lille-Gletscher.
Südlich davon finden wir einen herrlichen Lagerplatz mit Blick auf beide Gletscher. Der Südwind der letzten Tage hat auf dieser Seite die Küste nahezu eisfrei gemacht. Viele Fischer nutzen die Gelegenheit und fischen mit ihren kleinen Motorbooten zwischen den Eisschollen mit langen Leinen nach Heilbutt und anderen Fischen in dem Nährstoffreichen Wasser.

 

06.jpgGastfreundlich wie die Grönländer sind bot uns dieser Fischer gleich ein Stück seines Fangs zum Kosten an. Normalerweise bin ich kein Freund von rohem Fisch. Aber wenn er so frisch ist, wer kann dazu schon >Nein< sagen.

 

Für uns bietet sich die seltene Gelegenheit bis ans Ende des Fjords vorzudringen und von dort aus zum Inlandeis zu gelangen. Doch leider schlägt der Wind in der Nacht auf Nord um und so sind wir froh, noch genügend offenes Wasser zu finden um dem ständig zunehmenden Treibeis zu entkommen. Wir setzen unsere Reise Richtung Ikerasak fort, wo wir zwei Tage später auf Jorgen treffen. Jorgen ist Däne, und lebt bereits seit 25 Jahren hier in Grönland. Er versucht die Traditionen und Weisheiten der Inuit zu erhalten und an die Jugend weiterzugeben. Seine Lebensgefährtin ist Inuit und hat noch viel Gespür für die Vorgänge in der Natur dem ursprünglichen Lebensraum dieser Menschen. Viel Zeit verbringt Jorgen mit der Haltung von Schlittenhunden, die hier nördlich des Polarkreises wie selbstverständlich zu jedem Haushalt dazugehören wie bei uns ein Auto oder Fahrrad. Im Sommer lebt er und seine Lebensgefährtin in einem traditionellen Sodenhaus am Rande des kleinen Ortes.

 

07.jpgDie Sodenhäuser bestehen aus kleinen Holzhäusern die durch eine dicke Schicht Torf (Grassoden) von außen gegen die arktischen Wintertemperaturen isoliert werden.

Hier liegt auch sein kleines weißes Grönlandkajak, das er wie einige andere im Ort noch immer zur Jagd auf Robben benutzt. Gerne hätte ich mit diesem Boot einmal eine Probefahrt gemacht, doch ich fürchte zum Einstieg in die enge Luke hätte ich mir vorher die Beine brechen müssen.

 

 

 

08.jpgDie Konstruktion ist sehr ähnlich dem unseres Faltbootes. Ein Holzrahmen der mit einem Tuch überzogen und mit einer Art Lack wasserdicht wird. Sehr schmales seetüchtiges Kajak das vor allem für die lautlose Jagd auf Robben genutzt wird.

 

Bei unserem kleinen Rundgang über die Insel stopft sich Jorgen bei jeder Gelegenheit irgendwelche Kräuter oder Blumen in den Mund und erklärt uns welche Pflanzen bei den verschiedenen Krankheiten helfen. Als wir uns nach zwei Tagen von ihm verabschieden, überreicht er uns beiden je eine handgeknüpfte Glückskette aus Glasperlen und eine Schneehuhnkralle mit einer besonderen Bewandtnis: >Wenn wir diese Schneehuhnkralle bei uns tragen, bekommen wir nie wieder kalte Füße. Nach unserer Erfahrung hilft’s nicht immer - aber es schadet auch nicht.
Unser Weg führt uns ein Stück Richtung Norden, wo wir in einer geschützten Felsenbucht die Ruhe genießen. Von den umliegenden hohen Felsen bietet sich ein gigantischer Blick nach Westen über die Felswände der Storoen-Island bis hin zur Insel Uummannaq in der Ferne. Stundenlang sitzen wir hier in der Sonne und halten nach den Blasgeräuschen und dem Auftauchen von Walen Ausschau. Oftmals dringen die Blasgeräusche zu uns herüber, doch aufgrund der großen Entfernung sind die Wale bereits abgetaucht wenn die Geräusche bei uns ankommen.

 

09.jpgNicht einmal Mücken stören in diesem Jahr unsere Ruhe. So sitze ich stundenlang in kurzer Hose auf den hohen Felsen und genieße die absolute Stille und den endlosen Blick in die Ferne.

Mehrfach gelingt uns aber dennoch, die Tiere auf ihrem Weg zwischen den Eisbergen mit dem Fernglas zu beobachten.
In den nächsten Tagen setzen wir unseren Weg am Südufer von Storoen-Island Richtung Uummannaq fort. In den steilen Felswänden, die direkt am Wasser bis in eine Höhe von 1200 Meter aufsteigen, nisten zahlreiche Vogelarten. Trotzdem müssen wir einen deutlichen Abstand halten, da immer wieder Gesteinsbrocken in die Tiefe rauschen. Das Wetter ist etwas unbeständig geworden und so schlagen wir nur acht Kilometer vor Uummannaq noch einmal ein letztes Lager auf. Für die abschließende Überfahrt wollen wir auf den nächsten Tag und ruhigere Bedingungen warten. In der Nacht aber nimmt der Wind zu und mutiert zum Sturm. Die sonst bewegungslosen Eisberge erreichen jetzt, angetrieben durch den kalten Wind vom Inlandeis, Geschwindigkeiten von mehren Stundenkilometern. Gischt überspült die Eisberge und Felsen am Ufer.

 

10.jpgBei diesem Wetter zeigt sich auch keines der Fischerboote mehr auf dem Wasser.

 

Wellen von mehreren Metern Höhe haben sich inzwischen aufgebaut. Wir sichern unser Hab und Gut im Windschatten der Felswände und überlegen wie wir den Rückflug von Uummannaq in zwei Tagen noch realisieren können. Mit dem Funkgerät versuchen wir Kontakt mit Fischern und mit Uummannaq aufzunehmen. Da bei diesem Sturm keine Fischer mehr unterwegs sind, leider ohne Erfolg. Irgendwann meldet sich eine Radiostation aus 200 Kilometern Entfernung. Über Telefon wird eine Verbindung zum Hotel in Uummannaq hergestellt. Dort versucht man für den nächsten Tag eine Rückholaktion zu organisieren. Wir bereiten daraufhin alles für einen kurzfristigen Aufbruch vor. Das Faltboot wird zerlegt und alles so weit wie möglich in Säcke verpackt. Der Sturm pfeift weiter über die Wellenberge und nur einmal sehen wir einen größeren Frachter in der Ferne zwischen den Wellen taumeln. Zur verabredeten Zeit nehmen wir über Funk wieder Kontakt mit Uummannaq auf. Zu unserer Bestürzung erhalten wir lediglich die kurze Antwort: >Zur Zeit keine Abholung möglich, da beim derzeitigen Seegang zu gefährlich<. Wir sitzen im strömenden Regen auf unseren Packsäcken und sehen unseren Rückflug und damit auch den Anschlussflug nach Kopenhagen in der Ferne entschwinden. Wir suchen Schutz in einer kleinen Hütte die hier von den Fischern zurückgelassen worden ist und überlegen wie wir mit der neuen Situation umgehen sollen.

 

11.jpgFrüher fuhren die Inuit mit Hundeschlitten und Zelt zur Jagd oder zum Angeln. Heute hängen Sie solche Hütten auf Kufen hinter ihre Motorschlitten.

Plötzlich ertönt draußen deutlich vernehmbar das Signal eines Nebelhorns. 100 Meter vor den Felsen manövriert der große Frachter, den wir Stunden vorher bereits einmal in der Ferne gesehen haben. In den meterhohen Wellen wird ein kleines Beiboot von zwei Seeleuten zu uns herübergesteuert. Während wir im Laufschritt unsere Ausrüstung in die kleine Bucht schleppen wird die Nussschale von den Wellen hart auf die Felsen geworfen. Augenblicklich landen unsere Säcke, das Faltboot und wir in dem kleinen Gefährt und nach nicht einmal zwei Minuten Schaukelei befinden wir uns bereits in Lee des Frachters und damit bereits in relativer Sicherheit. Nach dem wir das Gepäck auf den Achterdeck verstaut haben, drängen sich nun der Käpt’n, die beiden Seeleute und wir in dem nur zwei mal zwei Meter messenden Steuerhaus. Für die Seeleute scheint dieser Seegang nichts ungewöhnliches und so steuert uns der Käpt’n nur mit zwei Fingern an seinem Joystick mit sichtlichen Gelassenheit durch die Wellenberge. Scheinbar endlos gestaltet sich die Überfahrt, da durch die ständigen Brecher, die das Boot überspülen und die heftigen Regenschauer, der Blick auf den Hafen von Uummannaq erst sehr spät freigegeben wird. Am Hafen erwartet uns bereits der Chef vom Uummannaq-Hotel und bietet uns ein Zimmer und die Unterstützung bei den letzten Vorbereitungen für den Rücktransport an. Wir nehmen gerne an und nach nur einer halben Stunde sitzen wir bereits frisch geduscht mit sauberen Klamotten bei dezenter Klaviermusik im Restaurant des Hotels und genießen die Spezialitäten des Hauses und ein Glas Rotwein. Krasser konnte der Gegensatz wohl kaum ausfallen.
Am nächsten Morgen hat sich der Sturm gelegt. Es ist windstill und der erste Schnee ist in der Nacht auf die markanten Felsformationen der Insel gefallen.

 

12.jpgVor dem Hotel Uummannaq liegt der Frachter der uns in die Zivilisation zurückbrachte.

 

Die aufgehende Sonne färbt die Berggipfel in ein zartes Rosa und nichts deutet mehr auf das Unwetter der vergangenen Tage hin. Es ist Sonntag, aber der Hotelchef macht es dennoch möglich, dass für uns extra das Hafenkontor geöffnet wird und wir unser Faltboot für den Rücktransport aufgeben können.
Wir streifen noch ein wenig durch den Ort und lassen uns dann gegen Mittag zum etwas außerhalb liegenden Heliport bringen. Wegen des Sturms der letzten Tage sind wohl einige Flüge ausgefallen und somit unser Flug überbucht. Da hier aber eine stündliche Verbindung besteht, verbringen wir die gewonnene Zeit zwischen den Schlittenhunden in der Sonne. Noch einmal genießen wir beim Rückflug den Blick über die mit Schnee überzuckerten Gipfel der kleinen Inseln, die zahlreichen Eisberge und das Inlandeis in der Ferne. Dann entschwinden wir in den Wolken über den Gipfeln der Nussuaqhalbinsel.

 

13.jpgEin letzter Blick hinab auf die kahlen Hänge, die Berge und die Eisberge die für drei Wochen unsere Heimat waren.

In Illulissat verbringen wir noch einen letzten Abend am Isfjord, wo von der untergehenden Sonne die größten Eisberge der nördlichen Hemisphäre im rötlichen Licht uns noch einmal die atemberaubende Schönheit der grönländischen Arktis vor Auge führen.

 

 

 

 

14.jpgDie Zeit der Mitternachtsonne ist bereits vorüber und so erstrahlen die Eisberge im sich ständig ändernden Licht der untergehenden Sonne. Nicht ohne Grund gehört auch der Isfjord zum Weltkulturerbe.

 

Schon vor den Rückflug in die Hektik der deutschen Arbeitswelt steht für uns beide fest: Wir kommen wieder!


 

 

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