Text und Fotos: Markus Ziebell
Mit
einer Länge von 314 Kilometern ist
der Scoresbysund der größte Fjord der Welt.
600 Kilometer habe ich mir zur Umrundung des
Milne-Landes vorgenommen.
Als ich am frühen Vormittag des 25ten Juli nach über 24-stündiger Anreise erwartungsvoll am Heliport von Ittoqortormiut abgesetzt werde, liegt bereits eine gut neunmonatige Vorbereitungsphase hinter mir. Da alle meine Versuche, geeignete Mitfahrer zu finden, gescheitert sind, mischt sich unter die Vorfreude auch eine gewisse Spannung, ob ich den Herausforderungen auch wirklich gewachsen bin. Aber ich habe die letzten Monate gut trainiert und den festen Willen, hier zu bestehen.
Vor
Scoresbysund, der zweitgrößten Stadt Ostgrönlands,
mit seinen 500 Einwohnern, liegt noch ein dichter
Eisgürtel. Der Ostwind drückt vom Atlantik häufig
Eis in den Fjord und blockiert damit die Schifffahrt.
Schon beim Landeanflug ist zu sehen, dass die gesamte Bucht von dichtem
Treibeis bedeckt ist. Bereits vor meiner Abreise in Deutschland hatte mir Karina
vom hier ansässigen >NANU-Travel< gemailt, dass zur Zeit schwierige
Eisverhältnisse herrschen. Vor Ort gibt man mir aber Hoffnung, dass
sich das hier schnell ändern kann. Am nächsten Morgen hat sich das
Eis wirklich etwas geöffnet. So packe ich früh
meine Ausrüstung zusammen, nehme die siebenschüssige Pumpgun gegen
die Eisbären entgegen und hole mein Boot von der Hafenverwaltung ab. Mein
Seekajak ist bereits sechs Wochen vor mir auf die Reise gegangen. Mittels Frachtschiff
der Royal Arctic Line ist es von Aalborg aus gestartet. Dann aber endlich habe
ich alles zusammen und starte die erste Etappe durch das Gewirr der Schollen.
Durch die niedrige Sitzposition kann ich kaum erkennen, welche Kanäle weiterführen
und welche nach wenigen Metern in einer Sackgasse enden. Immer wieder nutze
ich deshalb die Möglichkeit zum Ausstieg auf die Schollen und lerne so
das erste Mal Packeis mit seinen deutlichen Verwerfungen kennen. Bereits nach
wenigen Stunden schlage ich mein Lager kurz vor der kleinen Siedlung Kap Hope
auf. Als ich beim Essen bin, kommt eine Familie zum Jagen an meine Felsküste.
Hinter einem Steinwall verschanzt lauern sie auf Robben, die sich hier auf den
Schollen ausruhen. Wie bei fast allen Bewohnern Ostgrönlands bildet die
Jagd auf Robben, Moschusochsen und auch Wale noch immer einen wichtigen Teil
des Lebensunterhaltes. Auch wenn die Inuit inzwischen zumeist moderne Kleidung
tragen, werden die Jagdtiere doch noch immer in traditioneller Weise komplett
verwertet. Es dauert nur etwa eine Stunde bis ein lauter Knall die Stille zerreißt
und Vater und Sohn eilig mit dem Boot die ausgewachsene Ringelrobbe bergen.
Diese Familie hat also Fleisch genug für die nächsten Tage. Ich dagegen
bleibe für die nächsten Wochen bei meinen Spagetti, die ich mit etwas
Fertig-Pemmikan verfeinere. Denn auch ohne Robbenspeck muss ich pro Tag auf
circa 4.000 Kilokalorien kommen.
Als
am dritten Tag endlich die Sonne
raus kommt, steigt die Stimmung. Ich
liege voll im Zeitplan und fühle mich
absolut fit.
Nach der Querung des Hurry-Fjords wird das Eis offener und somit auch die Tagesleistungen größer. Um meinen Plan zu verwirklichen und das Milne Land zu umrunden, muss ich pro Tag etwa 23 Kilometer paddeln. Das klingt recht entspannt. Überlegt man sich jedoch, was auf der 600 Kilometer langen Tour alles dazwischen kommen kann, liegt meine Wunschtagesetappe bei ca. 30 Kilometern, um mir ausreichend Reserve vorzuhalten. Am dritten Tag steht dann endlich die geplante Querung des Fjords nach Süden zur Volquard-Boons-Kyst an. Knapp 40 Kilometern trennen mich noch morgens von der beeindruckenden Bergkette im Süden. Zahlreiche Gletscher stürzen sich die steilen Hänge direkt ins Meer hinunter. Durch die klare Luft und diese gewaltige Wand von 2.000 Metern Höhe erscheint die Küste bereits nach kurzer Zeit zum Greifen nahe. Doch es dauert noch Stunden bis ich die ersten Eisfelder erreiche, die die Küste ankündigen.
Eine geschlossene Eisdecke, die sich
bis zum Horizont erstreckt,versperrt
mir die Weiterfahrt. Zu dünn zum
Laufen und viel zu dick zum Paddeln.
Die Eisfelder werden immer dichter und circa sechs Kilometer vor der Küstenlinie stoße ich auf eine ununterbrochene flache Meereisschicht. Ich verschaffe mir einen Überblick von einem höheren Eisrücken aus und muss feststellen, daß die Küste unerreichbar ist. Ich suche den Horizont nach einem Weg nach Westen ab. Ohne Erfolg! Das Barometer zeigt stabiles Wetter an, so beschließe ich, auf einer etwa 30 Meter langen Scholle, die mir stabil genug erscheint, mein Lager aufzuschlagen.
Mir ist bewusst, daß genau diese Gegend der Lebensraum des Polarbären ist. Dementsprechend unruhig verbringe ich die Nacht, ständig mit einem Ohr an der Zeltwand und mit einer Hand am durchgeladenen Gewehr. Vom König der Arktis höre ich in dieser Nacht nichts, aber laut knackend und blubbernd dreht sich in unmittelbarer Nähe meiner Scholle ein kleiner Eisberg. Morgens bin ich froh, daß die Scholle nicht von einer Strömung versetzt oder von Packeis eingeschlossen ist, muß aber feststellen, daß ein circa fünf Meter breiter Streifen abgebrochen ist. An dieser Stelle fallen mir die Geschichten von Frithjof Nansen ein, der wochenlang auf Eisschollen saß und diese immer wieder unter seinen Füßen auseinander brachen. Nach dem Frühstück hangele ich mich stundenlang an der Eiskante entlang, versuche zahllosen Kanälen nach Westen zu folgen, nur um dann frustriert festzustellen, daß es kein Durchkommen gibt. Wie ich später feststelle, zieht sich die geschlossene Eisdecke etwa fünfzig Kilometer weit nach Norden bis zu einer Höhe nördlich von Kap Leslie. Gegen Mittag bemerke ich, daß von Süden langsam eine Wolkenfront aufzieht. Da ich keine weitere Nacht im Eis verbringen möchte, schlage ich den Rückweg in Richtung Jameson Land ein. Nach einigen Stunden ziehen die ersten leichten Böen übers Wasser und schieben mich an. Nach 13 Stunden im Kajak ereiche ich an diesem Tag endlich einen geeigneten Strand. Noch am nächsten Tag stecken mir der Frust und die sechzig Kilometer derart im Körper, daß ich einen Pausentag einlege.
Da der ursprüngliche Plan nicht zu realisieren ist, versuche ich nun,
die Insel in entgegengesetzter Richtung zu umfahren, in der Hoffnung, daß
sich die Eisfelder in zweieinhalb Wochen aufgelöst haben.
Da ich mit NANU-Travel vereinbart habe, einen Teil meines Proviants per Schiff
zur Bären-Insel zu bringen, kontaktiere ich über das Satellitenhandy
Karina, die mir zusagt, daß bereits nach drei Tagen ein Schiff dort sein
soll. Somit mache ich mich am nächsten Tag auf nach Norden.
Moschusochsen, die nur etwa so groß wie Ponys sind, bilden einen Verteidigungsring
um sich vor Angreifern zu schützen.
Gegen Nachmittag sehe ich bereits von weitem auf einem Hügel eine Herde von Moschusochsen. Ich lege an und schleiche mich mit Stativ und Gewehr bewaffnet langsam an. Die Moschusochsen haben zwei unterschiedliche Verteidigungstechniken. Entweder bilden sie bei Gefahr einen Ring, um mit ihren Hörnern die Feinde abzuwehren, oder aber sie rennen ihre Feinde einfach um. Da ich nicht Opfer der zweiten Technik werden möchte, lasse ich einen felsigen Bach zwischen mir und der Herde. Die Tiere beobachten mich etwas irritiert, scheinen aber nicht wirklich beunruhigt. Erst als ich zurück am Boot das Gewehr entlade, werden sie von dem metallischen Klicken aufgeschreckt und rennen in wildem Galopp davon.
Die dichte Straße der Eisberge liegt zwischen mir und dem Milne-Land im Hintergrund. Auf meinem Weg zu den Bäreninseln muss ich dieses Gewirr der Eisgiganten durchqueren. Durch die geringen Abstände besteht hier erhöhte Gefahr durch Eisabbrüche.
Es ist sonnig und windstill an diesem Tag und so wird meine Weiterfahrt begleitet
vom ständigen Knacken der Eisberge, die hier in großer Zahl dicht
an der Küste entlang treiben. Das beunruhigt mich ein wenig, denn für
den kommenden Tag liegt eine erneute Fjordquerung an, bei der es auch eine Passage
durch dieses Gewirr der Eisberge zu finden gilt. Noch lange sitze ich an diesem
Abend am Strand und beobachte die ständigen Abbrüche an den Eisbergen,
die mit steilen Flutwellen einhergehen.
Der nächste Tag beginnt mit bedecktem Himmel und Nieselregen. Durch die
niedrigeren Temperaturen ist heute wenig Bewegung im Eis, so daß ich ohne
Probleme die Straße der Eisberge kreuzen kann. Nach wenigen Kilometern
erreiche ich offenes Wasser und kann direkt Kurs auf die 45 Kilometer entfernten
Bäreninseln nehmen. Da die Berghänge hier viel steiler sind, habe
ich mir als Anlegestelle eine Bucht mit eingezeichneter Hütte ausgesucht.
Dort so hoffe ich, gute Anlegemöglichkeiten und Trinkwasser vorzufinden.
Kurz vor der Bucht passiere ich noch einen großen Eisberg, der mir bereits
aus der Entfernung sehr brüchig erscheint. Ich habe das Boot gerade in
einer geschützten Bucht mit vorgelagerten Felsen etwas auf die Felsen gezogen
und die ersten zwei Packsäcke entladen, als mich ein lautes Krachen aufschrecken
lässt. Von dem Eisberg, der etwa 800 Meter vor meiner Bucht liegt, sehe
ich gerade noch eine breite Wand in die Tiefe stürzen. Vor dem Eisberg
bildet sich eine hohe brechende Welle, die aber nach kurzem Weg zu einer flachen
Dünung wird, die schnell näher kommt. Mir bleibt noch eine knappe
Minute um mich vorzubereiten. Das Boot kann ich nicht höher auf die Felsen
ziehen, wegen des hohen Gewichts. So stelle ich mich im Trockenanzug neben das
Boot mit der Festmacherleine in der Hand und harre der Dinge. Die erste Welle
wird noch durch die vorgelagerten Felsen gebremst. Die nächsten vier Brandungswellen
überrollen dann die Felsen, so dass ich bis zur Hüfte in der Brandung
stehe und das Boot rechts und links gegen die Felsen geschlagen wird. Ich habe
Glück und mein robustes PE-Boot nimmt keinerlei Schaden.
Die
auf der Karte eingezeichnete Hütte bietet schon
lange keinen Schutz mehr. Solche traditionellen
Sodenhäuser sind bewusst nur wenige Quadratmeter
groß, damit sie sich im Winter noch heizen lassen.
Doch weit und breit ist nichts von der in der Karte verzeichneten Hütte zu sehen. Ich unternehme eine ausgiebige Wanderung und entdecke die Reste eines kleinen Sodenhauses. In einem tief eingeschnittenen Tal höre ich endlich das leise Gurgeln eines Baches zwischen riesigen Felsblöcken. So ist mein Frischwasser für heute wieder gesichert. Weiter geht es am nächsten Tag nach Jytte Havn, denn dort ist der Treffpunkt mit NANU-Travel vereinbart. Leider kommt weder an diesem noch am darauf folgenden Tag das erwartete Schiff.
Auch hier in den Øfjord treiben einige der Eisriesen mit dem Ostwind hinein. Von den hohen Bergen ergießen sich zahlreiche Gletscherausläufer zu Tal.
Wie ich erfahre, hat die MS Nanu einen Motorschaden erlitten. Drei Tage später soll aber ein Ersatzboot kommen. Da mir Verpflegung für eine Woche fehlt, kann ich auf dieses Gepäck leider nicht verzichten. Bereits zu diesem Zeitpunkt steht für mich fest, dass ich die geplante Umrundung nicht mehr durchführen kann. Zu viel Zeit habe ich inzwischen verloren. Bei den unklaren Eisverhältnissen im Süden würde mir nun jegliche Reserve fehlen. Um die Wartezeit zu nutzen, mache ich noch einen Ausflug in den Öfjord. Dieser liegt nördlich des Milnelandes und wird von beiden Seiten durch steile, um die 2.000 Meter hohe Berge begrenzt, von denen zahlreich Gletscher herabstürzen. Leichter Rückenwind schiebt mich vorbei an bläulich in der Sonne glänzenden Eisriesen. Wegen der fast senkrecht ins Meer stürzenden Felswände gibt es hier kaum Anlandemöglichkeiten.
Westlich des Grundvikskirken-Gipfels finde ich einen breiten, flachen Rücken einer Seitenmoräne. Dort gibt es mehrere ebene Flächen, die wie aufgeschüttet wirken und ich hervorragend zum Campen eignen. Von hier, circa 50 Meter über dem Fjord, habe ich eine wunderbare Übersicht über den Fjord und die Gletscher, die sich vom gegenüberliegenden Milne Land herabwälzen.
Am nächsten Tag besuche ich noch einen der gewaltigen Gletscherarme,
die sich hier
aufgrund der Klimaerwärmung leider bereits um einige hundert Meter von
der Küste
entfernt haben. Damit habe ich auch schon den westlichsten Punkt meiner Reise
erreichtund mache mich langsam auf den Rückweg.
In der Zwischenzeit hat auch das Boot von NANU-Travel die Bäreninsel erreicht und meine restliche Verpflegung dort deponiert. So mache ich mich auf in Richtung Nord-Ost, da ich noch einen kurzen Abstecher in den Nordvestfjord, die Wiege der Eisberge, unternehmen will. Auf dem Weg dorthin wird die Eislage immer dichter, so dass ich große Umwege in Kauf nehmen muss, um einen Weg hindurch zu finden. Das Gewehr habe ich in diesen Tagen immer griffbereit auf dem Vordeck, um gewappnet zu sein, falls sich ein Eisbär inmitten der Schollen zeigen sollte. Zum ersten Mal bemerke ich starke Tidenbewegungen, die rasche Bewegungen zwischen den Eisschollen bewirken. Doppelte Vorsicht ist hier also geboten, um nicht vom Eis eingeschlossen zu werden. An windgeschützten Stellen zwischen dem Eis hat sich bereits dünnes Neueis gebildet. Kein Wunder, liegt doch hier ganzjährig die Wassertemperatur um den Gefrierpunkt.
Östlich der Bäreninseln gerate ich nochmals in dichte Eisfelder. Durch die Tidenströmung kommt es zu starken Bewegungen zwischen den Schollen, so dass häufig die Gefahr besteht, von den Schollen eingeklemmt zu werden.
Leider besitze ich keine detaillierten Karten des Nordvestfjords und so muss ich auf einen Abstecher ins Innere Verzichten. So begnüge mich mit einer ganztägigen Wanderung auf den Pythagoras Berg. Aus fast 900 Metern Höhe kann ich hier die gewaltigen Eisberge von oben betrachten. Durch die relative Nähe zur Abbruchkante des Gletschers sind die Eisberge hier noch jung und aktiv, so das hier ständig laute Knallgeräusche der Sapnnungsrisse im Eis zu hören sind.
Von hier oben schweift mein Blick nach Süden, wo ich meinen Weg durch große Ansammlungen von Eisbergen fortsetzen muss. Hier ist der Beginn der Straße der Eisberge, die sich vom Sydkap in leichtem Bogen an die Küste des Jameson Land annähert. Am nächsten Tag starte ich früh, da mit zunehmender Tageszeit und Temperatur die Wahrscheinlichkeit von Eisabbrüchen steigt. Es ist windstill und wolkenlos, und so umgibt mich trotzdem schon recht bald eine bedrohlich klingende Kulisse aus Eisriesen. Durch die geringen Abstände zwischen den weißen Giganten, die hier Höhen von 40 Metern erreichen, komme ich häufig bis auf weniger als 50 Meter an sie heran. Im Fall eines plötzlichen Abbruches muß ich hier mit gefährlichen Flutwellen rechnen. Doch ich habe Glück, und so erlebe ich Abbrüche und Drehungen an diesem Tag nur aus sicherer Entfernung. So bin ich froh, als ich am Nachmittag den letzten Gürtel von Eisbergen hinter mir lasse und den Strand des Jameson Landes erreiche. Durch die flachen Strände und der damit verbundenen geringen Wassertiefe gibt es hier einen recht breiten Streifen, in dem nur kleinere Eisbrocken und Schollen anzutreffen sind.
Von hier oben schweift mein Blick nach Süden, wo ich meinen Weg durch große Ansammlungen von Eisbergen fortsetzen muss. Hier ist der Beginn der Straße der Eisberge, die sich vom Sydkap in leichtem Bogen an die Küste des Jameson Land annähert.
Als ich am Vormittag zwischen den Eisbergen meine Weg suche, scheint die Sonne mit aller Macht. Dementsprechend häufig ertönen die lauten Spannungsrisse und auch gelegentliche Abbrüche. Glücklicherweise nie in meiner direkten Nähe, so das ich von Flutwellen verschont bleibe.
Die größeren Schollen bilden hier ein märchenhaftes Labyrinth, durch deren Kanäle ich die nächsten Tagen Slalom fahre.
Doch die extremen Bedingungen fordern bei meiner Ausrüstung nach knapp drei Wochen die ersten Opfer. Durch die starke ultraviolette Strahlung hier in der Arktis sind die Gummimanschetten meines neuen Trockenanzuges trotz Abdeckungen bereits stark porös geworden. So bekomme ich eines abends beim Ausziehen einen tiefen Riss in meine Halsmanschette. Glücklicherweise führe ich solche Verschleißteile zur Reparatur mit mir und kann am selben Abend das Malheur noch beseitigen. Bei Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt könnte sonst eine Kenterung schnell zur Katastrophe werden.
Ohne Ersatzteile hätte der beschädigte Trockenanzug schnell ins Disaster führen können. Bei Null Grad Wassertemperatur droht schnell der Kältetod.
Je näher ich der offenen Küste komme, umso stärker merke ich die Dünung. Im Strandbereich hat sich vielfach ein Gürtel aus kleinen Schollen gebildet, der durch die Brandung unaufhörlich durchmischt wird. Im Mündungsbereich des Fjordes fehlen inzwischen die Packeisbereiche, die zu Beginn der Reise die Dünung verhindert haben. Auch der Wind hat in den letzten Tagen etwas zugenommen. Als ich in den Hurry Fjord einbiege, treibt mich ein Südwind um sechs Beaufort immer wieder in den Windschatten der kleinen Eisberge, um dort Schutz zu suchen. An der Ostküste finde ich dort einen geschützten Strand und beobachte, nur wenige Meter von meinen Zelt entfernt, eine Gruppe von Schneehühnern in ihrem Sommergefieder.
Eine Gruppe von Schneehühnern in ihrem Sommergefieder.
Schon von weitem habe ich den Gletscher, der die Roscoe Bjerge
krönt, gesehen. Am
nächsten Tag mache ich mich zu ihm auf. Zahllose Hügelketten aus grobem
Geröll überwinde ich, bevor ich nach sechs Stunden vor einem 800 Meter
tiefen Abgrund stehe, in dessen Tal sich mehrere Gletscherseen gebildet haben.
Im Süden ist bereits in der Ferne der Ort Scoresbysund wieder zu sehen.
Zwei Tage später biege ich in die kleine vertraute, aber jetzt eisfreie Bucht des Ortes ein. Die letzten Paddelschläge, bevor ich mein Boot an Land ziehe, erzeugen ein wenig Wehmut. Die Zivilisation hat mich wieder! Nun heißt es, die Ausrüstung möglichst gut zu trocknen und für die Rückreise vorzubereiten.
Der größte Teil wandert wieder ins Boot und wird bei der Hafenverwaltung am nächsten Tag für den Rücktransport per Schiff aufgegeben. Nachdem ich die umgerechnet 120 Euro im Postamt bezahlt habe, verschwindet der Gabelstapler mit meinem Kajak im Lagerschuppen des Supermarktes.
Die Ankunft in Scoresbysund erscheint mir fast wie eine Heimkehr. Obwohl ich zu Beginn der Reise nur einen Tag hier verbracht habe, scheint mich der größte Teil der Bevölkerung zu kennen. Überall werde ich freundlich gegrüßt, man erkundigt sich nach meiner Tour und lädt mich sogar zu Kaffee und Kuchen ein. Selbst die Kinder scheinen hier nicht die Scheu zu haben, die ich bislang in Westgrönland fast überall erlebt habe. Mit ihren wenigen Worten Englisch kommen sie auf mich zu, fragen mich nach dem Namen und wo ich herkomme.
Während meiner Reise sind mit dem Eis fünf Eisbären in den Ort gekommen. Einer davon musste erlegt werden. Das Fell trocknet auf einem Gestell zwischen den Häusern. Die Eisbärengefahr ist also doch sehr konkret.
So erfahre ich viele Details aus dem Leben in dieser Gemeinde. Insgesamt fünf
Eisbären wurden während meiner Abwesenheit hier im Ort gesichtet.
Einer der Bären musste erlegt werden, da er im Ort die Schlittenhunde angegriffen
hatte. Das Fell sehe ich auf einem meiner Rundgänge in der Sonne trocknen.
Da zeitweise viel Treibeis in der Bucht war, konnten die Kreuzfahrschiffe für
zwei Wochen den Ort nicht anlaufen, was zu schmerzhaften Einbußen beim
Touranbieter führte.
Am Vorabend meiner Rückkehr haben die Jäger in einer gemeinsamen Aktion
neun Narwale erlegt, die in einer benachbarten Bucht zerlegt und unter allen
Bewohnern verteilt wurden. Auch die beiden Inuits,
die mit mir zusammen im Guesthouse abgestiegen sind, haben sich die Gelegenheit
nicht entgehen lassen. So sitzen wir abends gemeinsam beim Mattak, der Speckschicht
des Narwals, die in mundgerechte Stücke geschnitten, zusammen mit einer
würzigen Soße roh verzehrt wird. Da die Haut von der Konsistenz am
ehesten mit einer etwa Zentimeter dicken Gummimatte vergleichbar ist, werden
hier die vernachlässigten Kiefer des Westeuropäers auf eine harte
Probe gestellt. Gemeinsam lassen wir den Abend bei einem Glas Whisky ausklingen
und genießen einen der ersten glühenden Sonnenuntergänge des
beginnenden Herbstes.
Am letzten Abend gibt es Mattak, die rohe Haut des Narwals. Gewöhnungsbedürftig aber vitaminreich.
Der Sommer und auch meine Reise geht dem Ende entgegen, und so genieße ich am nächsten Morgen den letzten Blick aus dem Flieger über das Meer und die Eisberge, die mir für kurze Zeit zum >zu Hause< geworden sind.